Leseprobe – DER WOLF IN SEINER SEELE

Vorwort

Ich wünschte, ich könnte dich davon überzeugen, dass es sich bei DER WOLF IN SEINER SEELE um bloße Fiktion handelt, aber wir alle wissen ja, was Worte mit unserer Seele anrichten können. Wenn du meine Hand nimmst, um dich von mir in die dunkle Geschichte von Jules und Trix führen zu lassen, verlässt du den mit rosaroten Kirschblüten übersäten, sonnigen Weg von Gesetz und Moral und unschuldiger Liebe. Wir gehen dorthin, wo alles möglich ist – im Guten wie im Schlechten.
Ich kann dir nicht sagen, wo es für dich enden wird. Also gib gut auf dich acht.
* * *
Möglicherweise ist diese Geschichte nicht für sensible oder traumatisierte Menschen geeignet.

Kapitel1 – Jules

Stille kehrte ein.
Das Mondlicht tanzte auf den pechschwarzen Wellen des Hafenbeckens, in der Ferne schrie ein einsames Käuzchen. Es war eine idyllische Nacht im Mai, fast schon wie im Märchen.
Die Raserei in meinem Verstand löste sich auf wie Nebel in der Morgensonne. Ich blinzelte und schmeckte Kupfer auf der Zunge. Der heiße metallische Gestank von Blut schwängerte die Luft, die Klinge in meiner Hand wog bleischwer.
Der Tote hing am Maschendrahtzaun, die Arme und Beine gespreizt, der Oberkörper nackt. Seine Haut war schneebleich. In dieser Haltung sah er aus wie ein junger Märtyrer, der gründlich durch den Fleischwolf gedreht worden war. Das Tattoo auf seiner Brust – Bloody Crew in altdeutschen Lettern – war nicht mehr zu erkennen.
Ich packte sein verklebtes Haar und hob seinen Kopf an, um ihm ins malträtierte Gesicht zu schauen. Seine Augen starrten ungläubig ins Nichts, die Pupillen waren erstarrt. Jepp, mausetot. Er konnte höchstens 22 Jahre alt sein. In diesem Alter hielt man sich für unsterblich und schlauer als den Rest der Welt. Vielleicht sogar für schlauer als die Wölfe.
»Dummkopf«, murmelte ich und ließ seinen Kopf sinken. Ein paar blutige Zähne lagen zu seinen Füßen. Ich sammelte sie auf und schob sie in seinen Mund. Schließlich gehörten sie ihm.
Jetzt kam der unappetitliche Teil: Ich machte einen sehr tiefen Schnitt von oben nach unten durch die Bauchdecke. Innereien quollen heraus. Der Ligor mortis hatte bereits eingesetzt, das Blut war in die tieferen Körperstellen abgesackt. Anschließend durchtrennte ich die dicken Kabelbinder, mit denen ich ihn am Zaun gefesselt hatte. Er fiel wie ein Mehlsack herab. Mit verdrehten Gliedern lag er da.
Ich schleuderte das Messer im hohen Bogen in das Hafenbecken.
Der Wolf in mir hatte sich an den wilden Emotionen satt gefressen, die eben noch wie Stromstöße durch meinen Körper gejagt waren. Macht. Geilheit. Raserei und überbordende Ekstase. Jetzt zog er sich in die Dunkelheit zurück und ließ mich allein mit … nichts.
Der alte Jules hätte mir sagen können, ob dieses Nichts ein gutes oder schlechtes Gefühl war. Aber der war schon lange tot. Der neue Jules wusste lediglich, dass dieser Zustand nicht lange anhalten würde.
Die Erinnerung an den Rausch dieser Nacht würde mit jedem verstreichenden Tag verblassen wie eine Fotografie. Bald würde der Wolf, der sich in meiner Seele eingenistet hatte, wieder erwachen und danach gieren, dieses wunderbare, grell lodernde Feuer der Emotionen noch einmal zu erleben. Er war immer hungrig. Wir durften gespannt sein, wie lange ich ihm diesmal widerstehen konnte, bevor ich mich in den nächsten gewalttätigen Exzess stürzte.
Ich packte den Knöchel des übel zugerichteten jungen Mannes, wälzte ihn herum und zog ihn hinter mir her zum Kai des verlassenen Frachthafens.
»Äh, Boss?«, sagte Storm.
Ich blieb stehen und drehte mich um. »Was ist jetzt schon wieder?«, fragte ich mit milder Ungeduld.
»Blutspur.« Er deutete auf das Kopfsteinpflaster, auf dem ein breiter, verschmierter Streifen von der dunklen Pfütze fortführte, in welcher wiederum meine Schuhabdrücke zu sehen waren.
Wir nutzten den alten Frachthafen als Anlegestelle für nächtliche Lieferungen per Schnellboot. Es wäre sehr fatal, wenn die Cops das Gelände als Tatort absperren würden. Normalerweise achtete ich darauf, keine allzu große Sauerei zu veranstalten, schon gar nicht in freier Wildbahn. Aber was war in letzter Zeit schon normal?
»Besorg ein paar Eimer Wasser und mach die Sauerei weg«, sagte ich.
»Es ist mitten in der Nacht, Boss. Wo soll ich um diese Zeit einen Eimer herbekommen?«
Storm konnte seinen Blick nicht von dem klaffenden Schnitt im Bauch der malträtierten Leiche lösen. Trotz der spärlichen Beleuchtung erkannte ich, dass sich seine Gesichtsfarbe ins Grünliche verfärbt hatte.
»Versuch es mit Improvisation.« Ich ließ den Körper an der Kante des Kais fallen.
Der junge Kerl war bloß ein typischer kleiner Straßengangster gewesen, einer von der Sorte, die betrunkene Touristen im Vergnügungsviertel ausraubten. Anfangs hatte er noch geglaubt, heil aus der Sache herauszukommen. Er hatte geredet und geredet und doch nichts zu sagen gehabt. Seine große Klappe war ihm allerdings vergangen, kaum dass ich den ersten Zahn mit der Messerspitze aus seinem Kiefer gehebelt hatte. Die unsäglichen Schmerzen waren ganz schnell von nacktem Grauen abgelöst worden, als ihm klar wurde, dass ich sein Leben in der Hand hielt und entschieden hatte, es zu beenden.
Aber nicht sofort.
Niemals sofort.
Ich hatte ihn ein paarmal Hoffnung schöpfen lassen. Es stimmt übrigens, was man erzählt: Die Hoffnung stirbt immer als letztes.
»Du hättest ihn laufen lassen können, Boss«, merkte Storm vorsichtig an. »Der Bursche hat nichts gewusst. Er war der Falsche.«
»Das ist mir auch aufgefallen.«
Er war der Boss der Bloody Crew gewesen, einer von unzähligen kleinen Straßenbanden in Steenport. Man sollte doch meinen, dass er jemanden kannte – sorry, gekannt hatte, der irgendetwas wusste. Einen Namen, ein Gerücht. Diesen Ratten entging doch sonst nichts, was in der Unterwelt unserer Stadt ablief.
Fehlanzeige.
Glaubt mir: Wenn er etwas zu sagen gehabt hätte, dann hätte er es mir sogar vorgetanzt, nur damit ich aufhörte, ihm noch mehr Schmerzen zuzufügen.
Ich bückte mich und zog den Leichnam an den Haaren in die Aufrechte. »Nimm es nicht persönlich, Kleiner. Du warst bloß zur falschen Zeit am falschen Ort.«
Vermutlich sollte ich jetzt Schuldgefühle verspüren. Ich lauschte in mich hinein, aber da war nichts. Kein Bedauern, kein Triumph. Der Wolf hatte mich allein gelassen. Also richtete ich mich auf und beförderte den Leichnam mit einem Tritt ins Wasser. Es platschte. Es blubberte. Fort war er.
Der aufgeschnittene Bauch würde dafür sorgen, dass keine Gase im Körper entstehen konnten, die ihn wieder an die Oberfläche beförderten. Er würde den Fischen als Festmahl dienen.
Unerwartet bekam ich Appetit auf gegrillte Dorade mit Wasabi-Zwiebeln und Kräutertomate, zubereitet vom Sternekoch des Marijn, meiner Meinung nach das beste Restaurant in Steenport. Ich hatte mich die halbe Nacht lang mit dem kleinen Gangster amüsiert – er hatte überraschend lange durchgehalten – und nicht daran gedacht, zwischendurch einen Happen zu essen. Das sprudelnde Adrenalin in meinen Adern hatte mich mit Energie versorgt.
»Ich verstehe nicht, warum wir unsere Zeit mit so etwas vergeuden müssen«, mäkelte Storm, der noch immer blass um die Nase war. »Warum lassen wir das nicht die Frischlinge erledigen? Es geht doch bloß um zwei geklaute Kilo Koks und einige Handvoll Oxycodon. Das Drogenbusiness fällt nicht einmal in deinen Bereich. Dafür ist Rosco zuständig.«
»Es waren unsere zwei Kilo. Ich will sie zurückhaben und den Dieben eine Lektion erteilen. Sonst verschwinden beim nächsten Mal zehn Kilo.« Ich betrachtete meine Finger, die in schwarzen Latexhandschuhen steckten. Genau wie Storm trug ich zwei Paar übereinander. Ich hasste Handschuhe. Es war wie mit Kondomen: Ohne fühlte es sich intensiver an. »Rosco nimmt die Sache nicht ernst genug. In letzter Zeit ist er viel zu nachsichtig geworden. Das haben wir Everly zu verdanken.«
»Wer auch immer unser Zeug geklaut hat, ist doch längst aus der Stadt verschwunden.« Storm sammelte die Bomberjacke des Toten auf.
Auf der Rückseite des Kleidungsstück prangte bogenförmig BLOODY CREW, darunter war die ungelenke Darstellung eines Dolches zu sehen, von dessen Spitze Blut tropfte. Allein für diese Albernheit hatte der Möchtegern-Gangster den Tod verdient.
Ich sah zu, wie Storm sich neben mir am Kai niederhockte und die Jacke ins Wasser tauchte. Mit dem triefenden Kleidungsstück machte er sich daran, die verräterische Blutspur vom Boden zu waschen.
»Sorg dafür, dass die Jacke im Vergnügungsviertel gefunden wird«, sagte ich. »Ich will, dass sämtliche Straßengangs sich vor Angst in die Hose machen. Früher oder später wird jemand plaudern.« Im Geiste notierte ich mir, das nächste Mal eine Rosenschere einzupacken sowie eine Aderpresse. Vielleicht noch einen Akkubohrer. Und einen Packen von diesen feuchten Reinigungstüchern, um das Blut von den Händen zu wischen. Mein Gesicht hatte heute ein paar Spritzer abbekommen. »Wenn nicht, werden wir uns morgen Abend die nächste Ratte vornehmen.«
»Der ganze Aufwand wegen irgendwelcher größenwahnsinniger Kids.« Storm tränkte die Jacke ein weiteres Mal mit brackigem Hafenwasser. »Die wagen doch gar nicht, das geklaute Koks zu verkaufen.«
»Sie haben es bereits versucht«, korrigierte ich. »In einer Spelunke am Containerhafen. Sie wollten es ein paar Seeleuten andrehen, die am nächsten Tag mit ihrem Frachter ins Ausland schippern. Aber denen ist die Sache zu brenzlig gewesen.«
Unser Koks befand sich also noch in unserer Stadt. Aber nicht in unseren Händen.
»Dir geht es doch gar nicht um die gestohlenen Drogen.« Er wrang die triefende Jacke aus. Das Blut auf den brüchigen Pflastersteinen verdünnte sich und floss in Rinnsalen auf die Hafenkante zu. »Du bist bloß wütend, dass sich jemand erdreistet hat, uns zu beklauen.«
»Sehr wütend«, bestätigte ich.
Das, was ich zu spüren glaubte, war doch Wut, oder nicht? Ein kleines Glimmen tief in meinem Brustkorb, dass in dem schwarzen Nichts aufflackerte und das ich hegte und pflegte, damit es nicht erlosch.
Es war gut, etwas Handfestes zu tun zu haben. Auf diese Weise konnte ich den Moment hinauszögern, in dem das dünne Seil zwischen Wahn und Vernunft riss, auf dem ich seit Jahren balancierte. Eigentlich sollte ich mich auf die Verhandlungen mit den Holländern vorbereiten, aber dieser kleine Rachefeldzug hier war befriedigender. Rosco wusste um meinen fragilen Zustand, darum ließ er mich gewähren. Mein Freund machte sich Sorgen um mich.
»Ich bin überzeugt, dass dieses Pack, das uns beklaut hat, auch hinter den ganzen anderen Aktionen steckt«, fuhr ich fort und schaute hinüber zur anderen Seite des Hafens, wo die Lichter unserer Stadt glimmerten und funkelten. »Viele kleine Nadelstiche, um uns zu provozieren. Das sind keine Kindereien, Storm. Dahinter steckt Methode.«
»Das sehe ich anders. Niemand, der seine Sinne beisammen hat, würde es wagen, uns gezielt zu bestehlen. Das waren bloß verwirrte Spinner, die nicht wussten, was sie taten. Wahrscheinlich habe die sich das Koks bereits komplett durch die Nase gezogen.«
»Ich gebe nichts auf Wahrscheinlichkeiten. Wir werden es herausfinden.«
Er wusste, dass es keinen Sinn hatte, mit mir zu diskutieren. Rosco hatte ihn von seinen anderen Aufgaben befreit und ihn angewiesen, mich zu unterstützen, aber wir alle wussten, worin Storms eigentlicher Auftrag bestand. Er sollte mich im Auge behalten.
Es war nicht so, dass er mich von irgendetwas hätte abhalten können. Wir beide gehörten zu den fünf Überlebenden; Storm hatte noch den früheren Jules gekannt: den jungen Mann, der Mitgefühl und Skrupel besessen hatte.
Ich pellte mir die schwarzen Latexhandschuhe von den Fingern. »Lass uns zum Critters fahren.«
»Warum schon wieder dieser Schickimicki-Club?« Storm zog eine Grimasse und stopfte die tropfende, blutfleckige Jacke in eine Plastiktüte, die er aus der Innentasche seiner Jacke gezaubert hatte. Er bevorzugte Biker-Bars und Stripclubs.
»Weil dort mein Alibi auf mich wartet. Keine Sorge, für dich habe ich auch eines bestellt. Mit extra großen Titten.«
Er sah nicht begeistert aus. »Ein Alibi hättest du auch von mir haben können, Boss. Ich würde beim Leben meiner Mutter schwören, dass wir beide den ganzen Abend lang Dexter geschaut haben.«
»Was ist Dexter?«
»Eine Krimiserie über einen psychopathischen Serienmörder.«
»ich höre einen gewissen spitzen Unterton heraus.« Wir schlenderten zu meinem Jaguar. »Du bist leider alles andere als ein glaubhaftes Alibi, mein Lieber.«
»Warum?«
»Lass mich kurz überlegen.« Ich öffnete den Kofferraum, die Beleuchtung schaltete sich an. Wir hatten eine Plane im Innern ausgebreitet, um den kleinen Mistkerl herzubringen. Den Innenraum würde ich trotzdem reinigen lassen müssen, um ihn von Fasern und Haaren zu befreien. »Vielleicht, weil du das Mitglied einer kriminellen Organisation bist, deren Boss zufällig ich bin. Oder weil man in der Unterwelt deinen Namen flüstert, sobald jemand aufgrund eines gezielten Kopfschusses tot umfällt. Oder weil du unter falscher Identität lebst.« Ich zerrte die Plane heraus und holte eine Flasche Spiritus vom Rücksitz. »Verbrennen. Die Plane, nicht den Wagen.«
»Meine Identität ist astrein.« Gekränkt goss er die Flüssigkeit über das Plastik. »Der Typ auf dem Passfoto ist mir wie aus dem Gesicht geschnitten.«
Ich warf meine Latexhandschuhe auf die Plane und Storm tat es mir gleich. Sein Zippo klickte. Gleich darauf schoss eine Flamme in den nächtlichen Himmel. Beißender Gestank breitete sich aus.
Wir traten einen Schritt zurück, um dem erstickenden Qualm zu entgehen. »Der Typ ist zehn Jahre älter als du und Norweger. Du sprichst kein Wort Norwegisch.«
»Und du bist ein verdammter Erbsenzähler.« Er stieg auf der Beifahrerseite ein.
»Jeg beklager at jeg skadet følelsene dine.« Ich schwang mich hinter das Steuer und startete den Motor. Gemächlich lenkte ich den Wagen fort vom alten Frachthafen und zurück in die Innenstadt von Steenport.
»Hä?«
»Es tut mir leid, deine Gefühle verletzt zu haben.«
Er lachte leise, denn wir beide wussten, dass mir nie etwas leid tat. »Ich korrigiere: Du bist ein verdammter oberschlauer Erbsenzähler, Jules.«
»Meine Mutter war zur Hälfte Norwegerin. Und zur anderen Hälfte eine Nutte.« Von ihr hatte ich mein Aussehen geerbt, an allem anderen trug sie keine Schuld.
Ich schaltete die Musikanlage an, die ersten hellen Töne von Someone Made You flossen aus den Boxen. Die Erinnerung an meine Mutter ließ keinen winzigen warmen Funken in den Tiefen meines erkalteten Herzens aufflackern. Wenn ich an sie dachte, musste ich automatisch an ihren Mörder denken: meinen Erzeuger.
Zufällig war er auch mein erstes Opfer.
Wir passierten eines unserer Wettbüros. Beiläufig warf ich einen Blick hinaus und stieg so hart auf die Bremse, dass Storm nach vorn geschleudert wurde.
»Was zum Henker …?« Er folgte meiner Blickrichtung und seufzte. »Nicht schon wieder.«
Quer über die Schaufensterscheibe war in weißer Farbe TOD DEN WÖLFEN! gesprayt worden. Die drei Worte sprangen mich an, verhöhnten mich.
Diese Schmiererei war auf unserer Hinfahrt zum alten Hafen noch nicht da gewesen. Während ich Stunden damit zugebracht hatte, aus dem Straßengangster herauszukitzeln, wer hinter diesen Aktionen steckte, hatten genau die Kakerlaken, die ich suchte, eine weitere Provokation hinterlassen.
Storm tippte auf seinem Handy herum. »Der Dreck wird gleich morgen früh verschwunden sein, Boss.«
»Zu spät. Ich habe es bereits gesehen.« Ein Schauer kroch über mein Genick: Jagdfieber. Wer auch immer dahinter steckte – ich würde sie dafür büßen lassen. Und ich würde jede Minute genießen. Niemand tanzte mir ungestraft auf der Nase herum.
Fokussieren: so wichtig.
»Hättest du den kleinen Gangster am Leben gelassen, dann hätte er sich für dich umhören können«, sagte Storm. »Das wäre effektiver gewesen, als ihn zu foltern und umzubringen.«
»Du hörst dich schon an wie Rosco«, knurrte ich. »Ist doch nicht meine Schuld, dass der Kerl meine Fragen nicht beantworten konnte.«
»Seine aber auch nicht.«
»Wenn er mir Antworten hätte geben können … Okay, auch dann hätte er sterben müssen.« Ich seufzte. »Das Leben ist nun mal nicht fair. Ich würde ja gern sagen, dass es mir leid tut, aber warum soll ich lügen? Gönn mir doch auch mal etwas Spaß.«
Jetzt, wo ich die hingeschmierte Drohbotschaft an unserem Wettbüro sah, tat es mir höchstens leid, dass mein Opfer bereits tot war. Die Erinnerung an die Befriedigung, die grelle Todesangst in seinen Augen aufsteigen zu sehen, begann bereits, sich zu verflüchtigen.
Sollte die Leiche irgendwann wieder auftauchen, würde Rosco das Gerücht verbreiten lassen, dass er selbst den kleinen Pisser so übel zugerichtet hatte. Nicht alle würden es glauben.
Unsere Rollen bei den Wölfen waren festgelegt: Rosco kümmerte sich ums Grobe, ich galt als der smarte Stratege, mit dem andere Bosse bereitwillig über Millionendeals verhandelten. Es war wichtig, dass sie mich unterschätzten, weil ich so nett lächeln konnte.
Doch in der Steenporter Unterwelt wurde bereits über mich getuschelt. Mit den Frauen hatte es angefangen. Manche von ihnen, die ich benutzt hatte – mit ihrem Einverständnis, wohlgemerkt – waren anschließend so entsetzt über das gewesen, was sie mit sich hatten machen lassen, dass sie unbedingt darüber reden mussten. Also redeten sie. Mit einem Therapeuten, mit ihrer besten Freundin, ihrem Zuhälter oder dem Friseur. Das störte mich nicht. Ich machte jeder Frau von Beginn an klar, dass sie entweder die totale Kontrolle an mich abzugeben hatte oder sich gleich wieder verkrümeln konnte. Halbe Sachen gab es bei mir nicht. Von mir aus konnten sich die Bewohner Steenports die Mäuler über meine sexuellen Vorlieben zerreißen.
Aber es wäre fatal, wenn sich herumsprechen würde, dass ich immer unzurechnungsfähiger und gefährlicher wurde.
Vor einer Woche hatte ich einen unserer Fahrer auseinandergenommen, weil er sich mit dem Waffentransporter um eine halbe Stunde verspätet hatte. Ich hasste nichts mehr, als wenn man mich am vereinbarten Treffpunkt warten ließ. Vielleicht hatte ich es mit meiner Maßregelung ein wenig übertrieben. Rosco hätte die Angelegenheit mit kühlem Kopf gehandhabt, und wir müssten uns jetzt nicht nach einem neuen Fahrer umschauen. Mein Freund war deswegen immer noch sauer auf mich. Am darauffolgenden Tag hatte er Storm abkommandiert, mir auf Schritt und Tritt zu folgen.
Immerhin hatte ich noch keine Frau getötet. Aber auch das war nur eine Frage der Zeit.